Es war der vierte Tag, an dem Fibio in der Ecke saß und den Klagen der Fremden lauschte. Es waren zum Teil so abstrakt lächerliche Klagen, dass er sich schon mehrmals eine abschätzige Grimasse verkneifen hatte müssen.
Ein bloßer Roggenhalm steckte ihm im Mund und er kaute darauf herum, während er den Engel weiterhin betrachtete. Sie hatte sich kein einziges Mal beklagt, sie tat eigentlich überhaupt nichts außer ihre heilenden Hände auf mittlerweile unwichtige Wehwehchen zu legen und den Klagen der Dorfbewohner und Fremden zu lauschen. Fibio wurde nicht schlau daraus, was Daliah genau machte, wenn sie den Leuten zuhörte, doch die Leute gingen nachher leicht und lächelnd davon, und Daliah wirkte von Tag zu Tag betrübter und erschöpfter. Nur ein solch genauer Beobachter wie Fibio hätte das entdecken können, den er sah auch, dass sie sich erfolgreich darum bemühte, es niemandem anmerken zu lassen.
Wie gesagt, am vierten Tage war es, als Fibio, wieder einmal wutenbrannt, keuchend aufhüpfte und neben seinen Vater hastete. Sein Blick war mörderisch, als er die Frau betrachtete, die Daliah zum Heilen gerade eine winzig kleine Schnittwunde hinhielt, die kaum zu sehen war. Daliah war schon im Begriff, wie selbstverständlich die Hände auf den lächerlichen Schnitt zu legen, als Fibio wie eine Furie dazwischen fuhr. Er funkelte seinen Vater wutentbrannt an.
"Wie kannst du das nur zulassen?", brüllte er. "Seit gut einer Woche müht sie sich ab, gutmütig als es je einer von uns verdient hat, und heilt sogar so etwas!" Er packte die Hand der älteren Frau und zerrte sie hoch. "Nennst du das eine Wunde? Du lässt einen Engel solche Kleinigkeiten, solche niveaulosen und lächerlichen Kleinigkeiten heilen? Merkt ihr etwa alle nicht dass sie das nicht mehr lange durchhält? Nur weil IHR jetzt bei jedem euch komisch vorkommenden Stechen oder Kratzen sofort zu ihr eilt! Habt ihr Jasminwurzen auf den Augen????" Seine Stimme wurde wieder lauter, und mittlerweile hatte er die verschreckte Daliah am schmalen und zerbrechlich wirkenden Arm gepackt und sie hochgerissen. Seine Wut verdoppelte sich, als er die ängstlichen Gesichter sah, die ihn, den Sohn des Dorfhäuptlings, welche Schmach!, entsetzt beobachteten.
"All die Legenden besagen, wenn man je das Glück hat, dass einem ein Engel zugesandt wird, ist das ein Geschenk Gottes das man königlich verehren soll!" Seine Stimme wurde kalt und schnitt wie Eis. "Und alles wie ihr sie behandelt ist, sie tagelang im Dreck hocken zu lassen und Kratzer zu heilen."
Es war totenstill im Audienzsaal, selbst seinem Vater hatte es die Sprache verschlagen. Ein entsetztes Gesicht sprang aus der Menge hervor: Jodi. Ihre weitaufgerissenen Augen waren ihm eigentlich nur zu vertraut, doch in dem Moment fühlten sie sich sehr, sehr fremd an.
Das war der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte.
"Verräter!", schrie Fibio noch einmal in die Runde, dann packte er Daliah fester und zerrte sie zur kreisrunden Öffnung hinaus. Er rannte, mit ihr im Schlepptau, und rannte und rannte. Der Wald wurde dichter und der Boden stieg schließlich an. Er wurde steiniger und das Gras war immer spärlicher zu sehen. Wortlos und immer noch wütend kletterte Fibio einen kurzen Steinhang hinauf, zweiffellos in der Annahme, Daliah würde im folgen. Natürlich tat sie das; Sie war schließlich ein Engel.
Sie gelangten auf einen kleinen Felsvorsprung, von dem aus eine breite Höhle zwanzig Schritt weit ins Innere des Berges ging. Es war einem Plateau ähnlich und sie konnten den Dunklen Wald recht weit überblicken. Weit entfertn kräuselten sich Rauchschwaden gen Himmel; Verblüfft ließ Fibio sich auf die Erde sinken, während er realisierte, wie weit er Daliah vom Dorf weggeschleift hatte.
Daliah.
Oh.
Hastig drehte er sich um und seine Augen weiteten sich. Daliah saß, wie ein kleines, hilfloses Bündel, zitternd am äußersten Rand des Plateaus. Fibios Wutausbruch hatte ihr mehr Angst gemacht als sie jemals gedacht hatte ein Mensch könne tun. Bebend drückte sie sich gegen den kalten Fels, als Fibio langsam auf sie zu kam.
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